10 Daseinsfesseln

 Die 10 Daseinsfesseln

Wir sind an den Daseinskreislauf (samsara) durch zehn „geistige Fesseln“ oder Samyojana gebunden.

1) Persönlichkeitsglaube (sakkāya-ditthi)
2) skeptischer Zweifel (vicikicchā)
3) Hang zu Regeln und Ritualen (sīlabbata-parāmāsa)
4) sinnliche Begierde (kāma-rāga)
5) Böswilligkeit (vyāpāda)
6) Verlangen nach feinstofflicher Existenz (rūpa-rāga)
7) Verlangen nach immaterieller Existenz (arūpa-rāga)
8) (Ich-)Einbildung (māna)
9) Unruhe (uddhacca)
10) Unwissenheit (avijjā)

Nach der Lehre des Buddha gibt es drei Daseinsbereiche (Existenzebenen) in denen man in Abhängigkeit von den karmischen Dispositionen in Erscheinung treten kann:

Die Sinnenwelten - Kama-Loka,
die feinstofflich/formhaften Welten - Rupa-Loka und
die nicht-formhaften Welten - Arupa-Loka.

Die ersten fünf Fesseln werden 'niedere Fesseln' (orambhāgiya-samyojana) genannt, da sie an die sinnliche Welt gebunden sind. Die letzten 5 werden 'höhere Fesseln' (uddhambhāgiya-samyojana) genannt, da sie an die höheren Welten gebunden sind, d.h. an die feinstoffliche und immaterielle Welt (A.IX.67-68; A.X.13; D.33, etc.).

Derjenige, der frei von 1-3 ist, ist ein Sotāpanna, oder Stromeingetretener, d.h. einer, der in den Strom der Lehre eingetreten ist. Wer außer diesen 3 Fesseln noch 4 und 5 in ihrer gröberen Form überwunden hat, wird ein Sakadāgāmi genannt, ein 'Einmal-Wiederkehrer' (in diese sinnliche Welt). Derjenige, der von 1-5 völlig befreit ist, ist ein Anāgāmī, oder 'Nicht-Wiederkehrer' (zur sinnlichen Welt). Derjenige, der von allen 10 Fesseln befreit ist, wird ein Arahat genannt, d.h. ein Vollendeter.

1. Persönlichkeits-Ansicht (sakkāya-diṭṭhi)

Die Persönlichkeits-Ansicht (sakkāya-diṭṭhi) ist die erste von 10 Fesseln (samyojana) an den Daseinskreislauf (samsara).

Sakkāya-diṭṭhi setzt sich zusammen aus saka (sein eigen) + kāya (Ansammlung) + diṭṭhi (Ansicht) und bezieht sich auf die fünf Gruppen des Ergreifens (Körper, Empfindungen, Wahrnehmung, Gestaltungen u. Bewusstsein), welche ALLES sind, was ein Lebewesen ausmacht. Wenn man diese Gruppen in irgendeiner Weise zu "Ich und Mein" macht, oder als sein Selbst betrachtet, so wird dies als Persönlichkeits-Ansicht (sakkāya-diṭṭhi) bezeichnet.

Daher lehrt der Buddha immer wieder wie folgt: "Das gehört mir NICHT, das bin ich NICHT, das ist NICHT mein Selbst"!

Wie können wir diese Persönlichkeitsansicht nun aufgeben?

Die Antwort darauf ist Desillusionierung, indem wir lernen, die fünf Gruppen des Ergreifens so zu sehen, wie sie wirklich sind: anicca, dukkha u. anatta: Was unbeständig und vergänglich (anicca) ist, dass ist durch Anhaftung daran bzw. Identifikation damit früher oder später leidvoll (dukkha). Was vergänglich und leidvoll ist, sowie dem Wandel unterliegt, dass kann zudem kein beständiges und ewiges Selbst sein (an-atta).

SN 22.155
Sakkāya-diṭṭhi-sutta (Persönlichkeitsansicht)

Bei Sāvatthī.

"Ihr Mönche, wenn was existiert (sati),
aufgrund des Ergreifens (upādāya) von was,
des Anhaftens (abhinivissa) an was,
entsteht Persönlichkeitsansicht (sakkāyadiṭṭhi)?"

"Unsere Lehren sind im Buddha verwurzelt. ..."

 (Daseinsgruppen zu „Ich und Mein“ machen)

"Wenn die Körperlichkeit (Form/rūpa) existiert, entsteht (uppajjati) durch das Ergreifen der Form und das Anhaften an der Form die Persönlichkeitsansicht.

Wenn Empfindungen ... Wahrnehmung ... Gestaltungen ... Bewusstsein existiert, entsteht durch das Greifen nach Bewusstsein und das Anhaften am Bewusstsein die Persönlichkeitsansicht.

Was denkt ihr, ihr Mönche? Ist die Form beständig (nicca) oder unbeständig (anicca)?" - "Unbeständig, Herr." ...

"Aber wenn man das, was unbeständig, leidvoll und dem Wandel unterliegt (anicca dukkha vipariṇāma-dhamma), NICHT ergreift, würde dann die Persönlichkeitsansicht entstehen?" - "Nein, Herr."

"Sind die Empfindungen ... die Wahrnehmungen ... die Gestaltungen ... das Bewusstsein beständig oder unbeständig?" - "Unbeständig, Herr." …

"Aber wenn man NICHT ergreift, was unbeständig u. leidvoll ist sowie dem Wandel unterliegt, würde dann die Persönlichkeitsansicht entstehen?" - "Nein, Herr."

"Wenn sie dies sehen ... verstehen sie: '... es gibt keine Rückkehr zu irgendeinem Zustand der Existenz (kein erneutes Werden).'"

2. Skeptischer Zweifel (Vicikicchā)

Vicikicchā bedeutet wörtlich "das Verlangen, zu unterscheiden oder zu überdenken" (vi-cikicchā), wobei die Vorsilbe vi- eine Bedeutung von Dualität oder Trennung hat und cikicchā vom Verb ci- kicchāti1 ("er denkt nach, überlegt, strebt an, beabsichtigt") stammt. Daraus ergibt sich das Verb vicikicchati, "er zweifelt".

Skeptischer Zweifel ist Mangel an Vertrauen zu dem Buddha und seinem Dhamma (Lehre). Man ist sich noch unschlüssig, ob das so stimmen kann und ob man sich dem anvertrauen soll. Zweifel kann entweder intellektueller oder skeptischer Zweifel sein. Letzterer ist identisch mit Vicikicchā. Nur der skeptische Zweifel (Vicikicchā) ist verwerflich und karmisch unheilsam, da er das Denken lähmt und die innere Entwicklung des Menschen hemmt.

Hierzu sagt der Buddha, das „unweises Nachdenken“ über die Lehre zu Zweifeln führt.

Als Gegenmittel empfiehlt der Buddha „weises Nachdenken“. Unter weisem Nachdenken, versteht der Buddha in erster Linie, das Erwägen (also darüber vorbehaltlos zu reflektieren) sowie die Kontemplation (Einsichtsmeditation) darüber.

3. Hängen an Regeln und Riten (silabbata-paramasa)

Der Buddha ist damals mit den Regeln und Ritualen der Brahmanen aufgewachsen. Diese glaubten, dass man sich mit dem exakten Einhalten von Riten und Vorschriften das Wohlwollen der Brahmagötter erwirken könne, so dass sie ein besseres Leben im Diesseits hätten und im Tod in deren Gefolge aufgenommen würden.

Es ging also nur um eine gute Wiedergeburt in den himmlischen Bereichen und nicht um Befreiung vom Daseinskreislauf.

Das Kompendium der Dingwelt
2.3 Das Buch der Sinn-Festlegung
2.3.1. Die Dreiergruppen
...
„Was ist hierbei das Hängen an Regeln und Riten? (Die Ansicht) seitens außerhalb (der Lehre) stehender Asketen und Brahmanen, dass durch eine Regel, durch einen Ritus, durch Regeln und Riten Läuterung komme. Solche (falsche) Ansicht und Theorie, (die) ein Dickicht der Ansichten (ist) ... eine verkehrte Auffassung. Dies nennt man Hängen an Regeln und Riten.“

In allen Religionsgemeinschaften ist es üblich, Regeln zu befolgen und Rituale durchzuführen, die der ethischen Lebensführung oder dem Kult dienen. Zu den Ritualen zählen Gottesdienste, liturgische und kultische Handlungen aller Art, die Feier religiöser Feste, Anbetungsgesten und Verehrungspraktiken, die Rezitation von Gebeten oder Mantras, religiöse Tänze und Gesänge, Orakelbefragungen, Beschwörungen, magische Rituale, Heilungsrituale, rituelle Waschungen von Menschen oder Gegenständen, der Vollzug der Beschneidung, der Taufe oder sakramentaler Handlungen, Opfer-, Reinigungs-, Segnungs- oder Weihehandlungen u.v.m.). 

Sílabbata-parāmāsa ist der Glaube an die läuternde Wirkung dieser Rituale.  Die Einhaltung ethischer Regeln ist sicher heilsam und zudem eine Voraussetzung für die Sammlung (samadhi). So hat uns auch der Buddha die 5 Ethikregeln (sila) gegeben. Aber diese sollten nicht ohne das rechte Verständnis eingehalten werden. Sonst sind sie auch nur leere Hüllen. Mit der Rechten Einsicht sind diese jedoch überaus wichtig, da sie das Verlangen und die Abneigung reduzieren und eine Wiedergeburt in den niederen Daseinsbereichen vermeiden helfen.

4.  Sinnliches Begehren (kama-raga)

Sinnliches Begehren, hierzu zähle der Buddha auch als sechsten Sinn den Intellekt, entsteht aus den Empfindungen beim Kontakt der Sinne mit den Sinnesobjekten sowie dem Geist/Intellekt (mano) mit den Geistobjekten (dhamma). Was uns angenehm ist, wollen wir erhalten, bzw. immer wieder aufs Neue erleben. Was uns unangenehm ist, wollen wir loswerden, bzw. zukünftig vermeiden. Egal ob Zuneigung oder Abneigung, beiden liegt die Begierde zugrunde. 

Das Prinzip dahinter beschreibt der Buddha wie folgt:

„Bei den lieblichen und angenehmen Dingen in der Welt, da entsteht dieses Begehren, da fasst es Wurzel:
Auge, Ohr, Nase, Zunge, Körper, Geist;
Formen, Töne, Düfte, Geschmack, Körpereindrücke und Geistobjekte
sind etwas Liebliches und Angenehmes.

(bedingt durch Sinne und Sinnesobjekte sowie Geist und Geistobjekte entsteht Sinnes- und Geistbewusstsein.
Das Zusammentreffen der drei nennt der Buddha Kontakt oder Berührung)

Bewusstsein, Kontakt, aus dem Kontakt entstandenes Gefühl, Wahrnehmung, Wille, Begehren, Gedankenfassen und Überlegen,
die durch Formen, Töne, Düfte, Geschmack, Körpereindrücke und Geistobjekte bedingt sind,
alle diese sind etwas Liebliches und Angenehmes. Da entsteht dieses Begehren, da fasst es Wurzel."

„Hat da einer mit dem Auge eine Form wahrgenommen,
mit dem Ohr einen Ton,
mit der Nase einen Duft,
mit der Zunge einen Geschmack,
mit dem Körper eine  Berührung,
mit dem Geist ein Geistobjekt,

so faßt er bei einem lieblichen Objekt Zuneigung,
und bei einem unliebsamen Objekt fühlt er Abneigung.“

„Was immer er für ein Gefühl (vedana) empfindet—angenehm, unangenehm oder indifferent — das billigt und pflegt er und klammert sich daran. Während er aber das Gefühl billigt, pflegt und sich daran klammert, steigt in ihm Neigung auf.

Die Neigung aber zu den Gefühlen, diese gilt als das "Ergreifen" (upādāna);

durch Ergreifen aber bedingt ist das Werden (bhava),
durch Werden bedingt ist die Geburt (jāti),
durch Geburt bedingt sind Altern und Sterben,
Sorge, Jammer, Schmerz, Trübsal und Verzweiflung.

Also kommt es zur Entstehung der leidvollen Daseinsgruppen (Körper und Geist nebst Bewusstsein).“

5. Böswilligkeit (vyapada)

Vyâpâda ist die letzte der fünf niederen Fesseln, mit denen wir uns an die Daseinsbereiche der Sinnenwelt (kama-loka) gebunden haben. Es ist die Neigung, jemandem schaden, bestrafen, verletzen oder zerstören zu wollen. Böswilligkeit ist das Gegenteil zu Metta (Liebender Güte, Wohlwollen). Böswilligkeit hat zur Folge, dass wir in den niederen Daseinsbereichen wieder in Erscheinung treten.

Darum gilt es diese genau wie das sinnliche Begehren zu überwinden:

A.IX.40
 ...
„Sinnliche Begierde (vierte Fessel) hat er verworfen; mit einem von Begierde freien Herzen verweilt er, von Begierde läutert er sein Herz.
Böswilligkeit (fünfte Fessel) hat er verworfen, haßlosen Herzens verweilt er; zu allen lebenden Wesen und Geschöpfen von Wohlwollen und Mitgefühl erfüllt, läutert er sein Herz von Zorneserregung.
...

Die Überwindung der Sinnlichkeit und Böswilligkeit zusammen mit Friedfertig finden wir auch im zweiten Glied des edlen achtfachen Pfades (rechte Gesinnung/Denken):

D 22,21

“Und was, Mönche, ist die Rechte Gesinnung (sammā-sankappa)?

Es ist, Mönche, die Gesinnung der Nicht-Sinnlichkeit (nekkhamma-sankappa),
die Gesinnung der Nicht-Böswilligkeit (avyāpāda- sankappa) und
die Gesinnung der Nicht-Gewalttätigkeit (avihimsā-sankappa).

Das, Mönche, nennt man die rechte Gesinnung.”

Das ethische Verhalten ist eine wichtige Grundlage zur Überwindung der Böswilligkeit. Durch das Einhalten der fünf Sila, zu denen sich ein Laienanhänger des Buddhismus verpflichtet, gibt man anderen Wesen das Geschenk der Furchtlosigkeit, der Nicht-Feindschaft und des Wohlwollens (abhayaá deti averaá deti avyâpajjhaá deti - AN 4.246).

Zu den zusätzlichen Hilfsmitteln zur Überwindung der Böswilligkeit gehören das bewusste Ignorieren der negativen Eigenschaften einer Person, die als ärgerlich empfunden wird. Stattdessen richtet man die Aufmerksamkeit auf alles Positive, das in ihr gefunden werden kann (AN 3.186). Ist es unmöglich, etwas Positives zu finden, ist dies die Gelegenheit, Mitgefühl (karuna), zu entwickeln, da eine Person ohne jegliche positive Eigenschaften natürlich ein Grund sein sollte, das eigene Mitgefühl und Mitleid wachzurufen. Neben der liebevollen Güte und dem Mitgefühl kann auch Gleichmut helfen, die Böswilligkeit zu überwinden.

Nach den fünf niederen Fesseln, welche mit der Sinnenwelt korrespondieren, kommen wir nun zu den fünf höheren Fesseln, welche an eine Manifestation in den höheren Daseinsbereichen binden.

Dīgha Nikāya 9
Poṭṭhapāda Sutta
Drei Arten von Daseinsformen (attabhava), Poṭṭhapāda, gibt es,

nämlich die grobstofflichen Daseinsformen,
die aus Geist bestehenden (feinstofflichen) Daseinsformen,
die gestaltlosen Daseinsformen.

Was ist, Poṭṭhapāda, die grobstoffliche Daseinsform?

(Alle Lebewesen mit einem physischen Körper)

Sie ist gestalthaft, aus den vier Elementen (fest, flüssig, gasförmig und Wärme) bestehend, feste Nahrung zu sich nehmend. Dies ist die grobstoffliche Daseinsform.

Was ist die feinstoffliche Daseinsform?

(Alle formhaften Lebewesen mit einem feinstofflichen Körper)

Sie ist gestalthaft (rupa) mit allen Haupt- und Nebengliedern und allen (Sinnes)funktionen. Dies ist die feinstoffliche Daseinsform.

Was ist die gestaltlose Daseinsform?

(Alle Lebewesen ohne eine formhafte Daseinsgrundlage)

Sie ist gestaltlos (arupa), aus bewusster Wahrnehmung bestehend. Dies ist die gestaltlose Daseinsform.

Ich aber, Poṭṭhapāda verkünde die Lehre vom

(Nirvana ist das Aufhören des Werdens im Daseinskreislauf)

Aufgeben der grobstofflichen Daseinsform. …
Aufgeben der feinstofflichen Daseinsform. …
Aufgeben der gestaltlosen Daseinsform. …

6. Begehren nach feinstofflich/formhaftem Dasein (rupa-raga)

Es ist der Glaube in allen theistischen Religionen, der nach himmlischer Existenz infolge von heilsame Handlungen in Gedanken, Worten und Werken führt. Die Wesen streben nicht nach Befreiung vom Daseinskreislauf, sondern nach einem ewigen Leben in den himmlischen bzw. göttlichen Bereichen. Die Wesen in diesen Daseinsbereichen erleben sich als brahmisch rein von Sinnensucht (4. Fessel) und Übelwollen (5. Fessel), mit liebendem, erbarmendem Gemüt und mit still-heiterem Herzenswohl und gleichmütigem Gemüt strahlend. Es bleibt aber noch die "Ich-bin" Empfindung bestehen. Eine Lösung vom Formerlebnis ist noch nicht da. Es ist ein Begehren nach - reiner - Form geblieben. Auch hier gilt: Es bleibt nicht so. Ist die karmische Energie für diese Existenz aufgebraucht, so verlassen diese Wesen die Bereiche auch wieder. 

7. Begehren nach Dasein ohne spezifische Form (arupa-raga)

Dieses Begehren entsteht durch die Praxis der vier höheren Jhanas (meditative Vertiefungen) und führt nach dem Ableben in diese Bereiche. In formfreier Selbserfahrung erleben die Wesen aus der zartesten Bewegtheit des Herzens: Wahrnehmung ist nur noch eine erhabene Empfindung. Formfreie Ich-Erfahrung ist nur durch Gefühl und Wahrnehmung bedingtes formloses Erleben der göttlichen Daseinsbereiche. Die Wesen hier sind für das Buddha-Dhamme nicht mehr zugänglich. Auch hier gilt: Es bleibt nicht so. Ist die karmische Energie für diese Existenz aufgebraucht, so verlassen diese Wesen die Bereiche auch wieder. 

8. Einbildung/Dünken (mana)

Der letze Rest der Einbildung "Ich bin" (‘asmī’ māno) ist die nach Überwindung der ersten Daseinsfessel (Persönlichkeitsansicht: Körper und Geist nebst Bewusstsein als ein Selbst zu betrachten) noch verbliebene subtile Form der Ich-bin-Einbildung. Auch wenn klar geworden ist, dass die fünf Gruppen des Ergreifens aufgrund ihrer Unbeständigkeit und Vergänglichkeit kein beständiges und ewiges Selbst sein können, so ist doch noch ein Rest von Ich-Dünken vorhanden. 

Saṁyutta Nikaya 22
Die Daseinsgruppen
22.89. Khemaka
So auch, Freunde, selbst wenn ein edler Schüler die fünf niederen Fesseln aufgegeben hat, verbleibt in ihm in Bezug auf die fünf Gruppen (Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gestaltungen und Bewusstsein) des Ergreifens, noch eine diesen zugrunde liegende Neigung (anusayo),

ein Rest von "Ich bin" (anusahagato ‘asmī’),
die Einbildung "Ich bin" (māno ‘asmī’),
der Wunsch "Ich bin" (chando ‘asmī’),

der noch nicht geschwunden ist.

Später weilt er nun bei den fünf Gruppen des Ergreifens in der Betrachtung ihres Entstehens und Vergehens:

(Bedingt durch Körper und Geist ist die Sinnen- und Denkfähigkeit.
Bedingt durch Sinne und Sinnesobjekte sowie Geist und Geistobjekte ist das Sinnen- und Geistbewusstsein.
Das Zusammentreffen der drei nennt der Buddha Kontakt.
Bedingt durch den Kontakt sind Empfindungen, Wahrnehmungen und Gestaltungen.)

‚So ist die Körperlichkeit (vier Elemente),
so ist die Entstehung der Körperlichkeit (bedingt durch Nahrung),
so ist das Vergehen der Körperlichkeit (ohne Nahrung).

So sind Empfindungen (freudvoll, leidvoll od. indifferent),
so ist deren Entstehung (durch Sinnes- u. Geistkontakt),
so ist deren Vergehen (ohne den Kontakt).‘

So sind die Wahrnehmungen (Assoziation und Benennung von Sinnes- und Geistobjekten),
so ist deren Entstehung (durch Sinnes- u. Geistkontakt),
so ist deren Vergehen (ohne den Kontakt).‘

So sind die Gestaltungen (Willensregungen, die zu Aktivitäten in Gedanken, Worten und Werken führen),
so ist deren Entstehung (durch Sinnes- u. Geistkontakt),
so ist deren Vergehen (ohne den Kontakt).‘

So ist das Bewußtsein (Sinnen- und Geistbewusstsein),
so ist sein Entstehen (bedingt durch Körper und Geist mit Sinnesorganen und Denkorgan).
so ist sein Vergehen (ohne Körper und Geist).

Wenn er so bei den fünf Gruppen des Ergreifens in der Betrachtung ihres Entstehens und Vergehens weilt: kommt die diesen zugrunde liegende Neigung, jener Rest von ‚Ich bin‘, jene Einbildung ‚Ich bin’, jener Wunsch ‚Ich bin‘, auch dieses kommt dann zum Schwinden. …

Itivuttaka 6
Der Dünkel

Gesagt wurde dies vom Erhabenen, gesagt von dem Heiligen, so habe ich gehört:
„Eine Eigenschaft, ihr Jünger, leget ab, ich bürge euch für die Nichtwiederkehr (Anagami). Welche eine Eigenschaft? Den (Ich-)Dünkel, ihr Jünger, die eine Eigenschaft, legt ab, ich bürge euch für die Nichtwiederkehr.“

Dies sprach der Erhabene; daher heißt es mit Bezug hierauf folgendermaßen:
Der (Ich-)Dünkel durch welchen berauscht die Wesen den schlimmen Weg gehen, diesen Dünkel legen völlig erkennend die Einsichtigen ab; nachdem sie sich seiner entäußert haben; kehren sie niemals wieder in diese Welt zurück.“

Auch dies ist vom Erhabenen gesagt worden, so habe ich gehört.

9. Unruhe  (uddhacca)

„Dem, der keine Willensregungen (Sankhara) mehr hegt und erschafft, dem hört die bewusste Wahrnehmung auf, eine andere gröbere bewusste Wahrnehmung entsteht nicht mehr. So berührt er das Verlöschen (Nirvana).“.

Diese Fessel korrespondiert mit dem zweiten Glied des „Bedingten Entstehens“, den Sankhara (Willensregungen in Gedanken, Worten und Werken). Willensregung entsteht erst durch die Beunruhigung. Nirvana wird auch als Unerschütterlichkeit verstanden, also das Gegenteil von Unruhe bzw. Aufgeregtheit. Durch Beunruhigung entsteht aufgrund des Nicht-Wissens (Avijja) um die „Vier edlen Wahrheiten“ über Dukkha erst der Durst (Tanha) nach Dasein und sinnlichem Erleben. Wir geraten in den Einfluss der Triebe (Daseinstrieb und Sinnentrieb)

Ud. VIII.4 Nibbána (4)
So hab ich ́s vernommen: „Einstmals weilte der Erhabene in Savatti im Kloster Anathapindikos. Da klärte der Erhabene die Mönche durch eine Lehrdarlegung über das Nibbána auf, spornte sie an, begeisterte sie, beseligte sie. Und diese Mönche, aufnahmebereit, aufmerksam, hörten sie mit ganzem Gemüt hingegeben, offenen Ohres die Lehre
Aus diesem Anlaß tat der Erhabene aus seiner Schau folgenden Ausspruch:

Wer etwas ergreift (Upadana), hat Unruhe;
Wer nichts ergreift, hat keine Unruhe.
Wo keine Unruhe ist, da ist Ruhe;
Wo Ruhe ist, da ist keine sinnliche Lust (Verlangen nach und Ergötzen an Sinnes- u. Geistobjekten);
Wo keine sinnliche Lust ist, da ist kein Kommen und Gehen (Wiedergeburten)
Wo kein Kommen und Gehen ist, da ist kein Vergehen und Neuentstehen (von Daseinsgrundlagen);
Wo kein Vergehen und Neuentstehen ist, da ist weder diese noch jene Welt, noch was zwischen beiden liegt.

Dies ist des Leidens Ende (Nirvana)“.

Sutta Nipāta 3.12
Betrachtung der Zweiheit

„Was da irgend an Leiden entsteht, alles das ist durch Regung (iñjita) bedingt‘, das ist die eine Betrachtung. ‚Eben durch der Regungen restlose Vernichtung und Aufhebung kommt es nicht mehr zur Entstehung des Leidens‘, das ist die zweite Betrachtung.

Wenn ein Mönch so in rechter Weise die Zweiheit betrachtet . . . (wie oben) . . . sprach ferner der Meister noch dieses:
Was irgend hier entsteht an Leiden, durch Regung ist all dies bedingt.
Wenn aber Regungen schwinden, nicht gibt es mehr Entstehen von Leid.
Hat er als Elend dies erkannt: ‚Durch Regung ist das Leid bedingt‘,
Hat er daher der Wunsches-Regung (Dust) sich entäußert,
zum Stillstand das Gestalten (Sankhara) auch gebracht,
Unregsam, ohne Ergreifen, soll achtsam wandern dann der Mönch.“

10. Nicht-Wissen (avijja)

Das Nicht-Wissen ist nach der Lehre des Buddha das erste Glied im „Bedingten Entstehen und Vergehen (Paticccasamuppāda) und auch die zehnte Fessel an den Daseinskreislauf (samsara). Es ist auf dieser Stufe das vollständige Verständnis der „Vier edlen Wahrheiten“ über Dukkha. Erst wenn wir die fünf Gruppen des Ergreifens der Wirklichkeit gemäß als vergänglich (anicca),  leidvoll (dukkha) und kein Selbst (an-atta) erkannt haben, sind wir vollständig desillusioniert (nibbida). Desillusioniert schwindet die Begierde (virāga). Begierdelos sind wir befreit vom Werden im Daseinskreislauf.

Wir haben erkannt, dass NICHTS, aufgrund der Unbeständigkeit und Vergänglichkeit (anicca) aller Dinge und Lebewesen, der Mühe wert ist, dafür erneut in Erscheinung zu treten: Nur Nirvana ist Frieden!

Dīgha Nikāya 16
(Mahā-Parinibbāna Sutta - Kapitel II)

„Durch das Nichtverstehen, Nichtdurchdringen der vier edlen Wahrheiten, ihr Mönche, habe ich und habt ihr diese lange Zeit den Daseinskreislauf (samsāra) durchlaufen, durcheilt.

Welche vier?

Durch das Nichtverstehen, Nichtdurchdringen der edlen Wahrheit vom Leiden, ...
Durch das Nichtverstehen, Nichtdurchdringen der edlen Wahrheit vom Entstehen des Leidens, ...
Durch das Nichtverstehen, Nichtdurchdringen der edlen Wahrheit vom Aufhören des Leidens, ....
Durch das Nichtverstehen, Nichtdurchdringen der edlen Wahrheit vom Weg zum Aufhören des Leidens,
ihr Mönche, habe ich und habt ihr diese lange Zeit den Samsāra durchlaufen, durcheilt.

Von euch, ihr Mönche, ist diese edle Wahrheit des Leidens „verstanden und durchdrungen“ worden,
diese edle Wahrheit von der Entstehung des Leidens verstanden und durchdrungen worden,
diese edle Wahrheit von der Aufhebung des Leidens verstanden und durchdrungen worden,
dieser zur Aufhebung des Leidens führende Weg verstanden und durchdrungen worden.

Abgeschnitten ist der Durst nach Werden (bhava-tanha),
eliminiert ist das Fundament des Werdens,
NICHT gibt es jetzt ein erneutes Werden (punobbhava)."

Dieses sagte der Erhabene. Nachdem der Tathāgata dies gesagt hatte, sagte der Meister noch Folgendes:

"Durch das Nichtsehen der vier edlen Wahrheiten, wie sie wirklich sind,
hat man in dieser und jener Geburt diese lange Zeit durcheilt.
Sind diese gesehen worden, ist das Fundament des Werdens zerstört,
abgeschnitten ist die Wurzel des Leidens (avijja u. tanha), nicht gibt es jetzt ein Wiederwerden."

Und was ist denn nun Dukkha?

Es ist die edle Wahrheit, dass die fünf Gruppen des Ergreifens (Körper, Empfindungen, Wahrnehmungen, Gestaltungen und Bewusstsein), die ALLES sind, was uns als Lebewesen ausmacht, aufgrund ihrer Unbeständigkeit und Vergänglichkeit (anicca) früher oder später leidvoll (dukkha) sind. Was vergänglich, leidvoll und veränderlich ist, kann zudem kein beständiges und ewiges Selbst sein (an-atta), noch zu einem vermeintlich transzendenten Selbst (Seele) gehören.

Was ist der Ursprung von Dukkha?

Es ist die edle Wahrheit, dass leidvolle Erfahrungen (dukkha) nur deshalb gemacht werden, weil wir bedingt durch Verlangen (Durst/tanha) nach Werden/Manifestation (bhava) und sinnlichem Erleben (kama) seit anfangsloser Zeit immer wieder in Erscheinung treten. Wo, wie und unter welchen Umständen, ist dabei abhängig von unseren karmischen Dispositionen (kamma vipaka).

Was ist das Aufhören von Dukkha?

Es ist die edle Wahrheit, dass durch die Überwindung dieses Verlangens (Durst/tanha) Befreiung vom Daseinskreislauf und damit von dukkha erlangt werden kann (Nirvana). Das Verlangen wird durch Desillusionierung (nibbida) überwunden, indem wir durch weises Erwägen (yoniso manasikara) die Daseinsgrundlagen (Körper und Geist) nebst Bewusstsein so erkennen, wie sie wirklich sind (yathābhūta-ñāṇa-dassana). Dies führt zur Begierdelosigkeit (virāga) und dadurch zur Befreiung (vimutti). Kein Entstehen, Vergehen und Anderswerden zeigt sich mehr.

Und was ist der Weg zum Aufhören von Dukkha?

Der edle achtfache Pfad der Schulung des Buddha, der zur Befreiung vom Daseinskreislauf und damit von Dukkha (den fünf Gruppen des Ergreifens) führt.

Die Frucht des achtfachen Pfades ist die Erkenntnis des Arahant von seiner Befreiung:

SN 56.11
...
"Und mir ging die Wissensklarheit auf:
(Ñāṇañca pana me dassanaṁ udapādi)

„Unerschütterlich ist meine Befreiung (‘akuppā me vimutti).
Dies ist meine letzte Geburt (ayamantimā jāti).
Jetzt gibt es kein erneutes Werden mehr (natthi dāni punabbhavo)!“


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